AIQNET: BG Klinik Tübingen nutzt KI zur Identifikation von Risikopatienten
AIQNET ist ein digitales Ökosystem für die sektorenübergreifende datenschutzkonforme Nutzung medizinischer Informationen. Im Mittelpunkt steht die Strukturierung dieser Daten mit Hilfe Künstlicher Intelligenz. Das Siegfried-Weller-Institut für Unfallmedizinische Forschung (SWI), das den Zusammenhang zwischen Nebenerkrankungen der Patienten und deren Einfluss auf das „Outcome“, also das Therapieergebnis, erforscht, ist Partner des vom BMWi geförderten Projekts. Im Rahmen von AIQNET werden medizinische und klinische Daten aber nicht nur gesammelt und strukturiert; Ziel ist die frühestmögliche Identifikation von Risikopatienten mittels KI in Verbindung mit klaren Handlungsempfehlungen für die Therapie.
In jedem Krankenhaus werden zahlreiche Daten generiert und aus medizinischen Gründen gesammelt. Sie liegen in verschiedenen Archivsystemen und häufig in unstrukturierter Form vor: Arztbriefe auf Papier, Untersuchungs- und Laborbefunde als PDF-Dateien. Im Fokus von AIQNET steht die automatisierte Beschaffung, Strukturierung und Analyse dieser Daten mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI). Koordiniert wird das Gesamtvorhaben von der BioRegio STERN Management GmbH aus Stuttgart. Initiator und Konsortialführer ist die RAYLYTIC GmbH mit Sitz in Leipzig.
„Das Ziel ist die frühestmögliche Identifikation von Risikopatienten und die Möglichkeit, auf Knopfdruck Risiken abfragen zu können. Dadurch lassen sich denkbare Komplikationen beim Eingriff minimieren, die Behandlung wird objektiv und subjektiv verbessert“, erklärt Prof. Dr. Andreas Nüssler, Leiter des Siegfried-Weller-Institutes für Unfallmedizinische Forschung (SWI). In diesem Forschungsinstitut, das Teil der BG Klinik Tübingen ist, werden unter anderem die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Nebenerkrankungen der Patienten und deren Einfluss auf das „Outcome“, also das Therapieergebnis untersucht.
In Kooperation mit dem Medizintechnik-Unternehmen Aesculap AG wurde für AIQNET der „Use Case“ Knieimplantate gewählt, weil sich hier der Zusammenhang zwischen Implantationsrisiken und Nebenerkrankungen leicht nachvollziehen lässt. „Der Arzt muss entscheiden, welches Implantat für eine bestimmte Konstellation von Patienten am besten geeignet ist“, erklärt Prof. Nüssler. „Diese Frage lässt sich einfacher beantworten, wenn die Nebenerkrankungen systematisch erfasst werden. Stichwort ‚Komorbidität‘. Wir erwarten, dass KI, wenn sie entsprechend trainiert ist, auf Grundlage der gebündelten Patientendaten selber die Schlussfolgerung zieht, dass bei einem bestimmten Patienten ein bestimmtes Problem – etwa das erhöhte Risiko einer Mangelernährung, von der bis zu 25 Prozent, in der Alterstraumatologie sogar bis zu 40 Prozent betroffen sind – vorliegt. Entsprechend gezielt kann daraus ein Handlungsschema entwickelt werden.“ Denn trotz exzellenter Operationstechnik und bester Implantate bringen nicht alle Patienten die gleichen Heilungschancen mit. Wenn beispielsweise jemand Diabetes hat, besteht ein hohes Risiko, eine diabetische Osteopathie zu entwickeln; entsprechend hoch ist das Risiko, dass es bei diesem Patienten zu Komplikationen kommt, wenn er ein Knieimplantat benötigt. „Bei über 10.000 operativen Eingriffen pro Jahr in der BG-Klinik ist das eine ganze Menge an Risikofaktoren, die die Patienten von zu Hause mitbringen“, erläutert Prof. Nüssler. Alle bisherigen Erkenntnisse stammen aus aufwändigen klinischen Studien. Mittels AIQNET soll es nun einfacher werden, nutzbringende Erkenntnisse daraus zu ziehen.
Der ethische und datenschutzrechtliche Aspekt ist für Prof. Nüssler von zentraler Bedeutung: „Die Kliniken haben einen extrem hohen Aufwand, um die gesetzlichen Regularien einzuhalten, um IT-Sicherheitssysteme zu betreiben und um mit den Patienten im Rahmen der Aufklärung zu besprechen, dass sie ihre Daten zur Verfügung stellen können. Wir müssen ihnen deutlich machen, dass sie selbst am meisten davon profitieren.“ AIQNET biete die Chance, dass KI Fortschritte im Interesse der Patienten ermögliche. Das digitale Ökosystem sei daher eines der Schlüsselprojekte der BG Klinik. „Wir sehen uns durchaus als Pioniere im modernen Gesundheitswesen“, erklärt Prof. Nüssler.